Die Gräfin von der Wettenburg


MainschleifeIm "Himmelreich" in der Mainschleife bei Urphar stand einst eine stolze Burg, die Wettenburg. Dort residierte eine Gräfin, die sehr hartherzig gewesen sein und von ihren Untertanen verlangt haben soll, dass sie einen Graben hinter der Burg grüben, um den Fluss des Mains kürzer zu gestalten. Ihrem Übermut und der Hilfe eines Karpfens, der, wie in vielen anderen Sagen auch, einen Ring wieder zurückbrachte, den sie ins Wasser gewor­fen hatte, sei es zu verdan­ken, dass die Burg mit­samt der Gräfin in die Erde fuhr und von der Burg heute nur noch kläg­liche Reste zu sehen sind.

Davon ist natürlich, wie bei anderen Karpfensagen auch, nur wenig wahr. Richtig ist, dass an dieser Burg vorbei beständig lange Kolon­nen von Handeltreibenden und Reisenden auf ihrem Wege durch den Spes­sart, über Eselsweg und Heuweg und die Furt über den Main bei Ur­phar vorbeizogen, um in die reichen Städte des Tauber­tales zu ge­langen. Dieses war mit ständigem Lärm und Gestank und auch viel Unrat und Gesindel verbunden, so dass es der Gräfin, die eine große Ge­nießerin war, nur schwer fiel, sich etwas Zeit für Muße und Ent­spannung zu gönnen, wenn sie den ständigen Flü­chen der Fuhrleu­te, dem Rumpeln der Karren und den Hinterlas­senschaften der Pferde und Esel ausge­setzt war.

So ließ die Gräfin wohl einen Graben hinter ihrer Burg ausheben, aber nicht, um den Main umzubetten, wie der Name Bettingen des Nachbar­dorfes und des Ber­ges, auf dem die Burg stand, vermuten ließe, son­dern um sich das fahrende Volk und die Flut von Kutschen vom Leib zu halten. Sie selber zog sich in ihre unterirdi­schen Gemä­cher zurück, ließ die Gemäuer oberhalb mit Fleiß verfallen, und mit Hilfe der Wald­geister, die in dem Hain auf der Anhöhe des Himmel­reiches in den al­ten Bäumen wohnten, gelang es ihr auch, ein Un­wetter her­beizuzaubern, so dass die Furt bei Urphar nicht mehr passierbar war und die Reisen­den den alten Heuweg nicht mehr fanden. Nur noch einige un­erschrockene oder ortsunkundige Wandersmänner verirren sich dort­hin.

Nun war bei den Reisenden und der Stadt Wertheim wohl guter Rat teuer, denn wie sollte man Handel trei­ben, wenn die wichtigsten Wege versperrt sind. Sie wussten sich aber zu helfen, indem sie einem Bähnlein von Lohr her eine Höhlung durch das Himmelreich gru­ben und bei Wertheim für dasselbe eine Brücke über den Main bauten, so dass die Reisenden und Händler an der Burg vorbei ihren Weg nah­men. Mittlerweile ist auch diese Durch­fahrt verschlossen und für die schnel­len Karossen in unserer Zeit führt eine breite Bahn bei Bettingen über den Main und weiter in die Städte Würz­burg und Nürnberg und viele Kurven und Landfahrzeu­ge hindern die Gefährte daran, um das Himmelreich herum ihren Weg nach Wertheim zu nehmen. Dort führt nun eine Brücke über den Main, die das Himmelreich und die Wetten­burg abseitig liegen lässt und sie vor un­gebetenen Gästen verschont.

Die Gräfin selbst hat durch die Zauberkraft der Wald­geister hohe Häupter wie Kaiser Barbarossa und Karl den Großen in Ruhe und Ab­geschiedenheit zu Gast, die man mit langen Bärten an Marmorti­schen in irgend­welchen anderen Bergen vermutet und dorthin viele lär­mende Reisende lockt. Die gekrönten Häupter lassen es sich aber lie­ber hier gut gehen, wo es immer erlesen­e Speisen gibt und große Geister aus alten Zeiten, von zarten Lautenklängen begleitet, aus ihren Werken vor­tragen.

Sorgenvoll betrachten jedoch viele der dort weilenden Gäste die im­mer größeren Kähne, die oft hunderte von Gästen und große Frach­ten um die Mainschleife herum fahren, was auch immer größere Fahrkünste der Steu­erleute erfordert, die aber schon manches Schiff zu­schanden fuhren und auch mit großem Lärm und üblen Gerüchen die Beschau­lichkeit der edlen Runde störten.

Dieses aber nimmt die Gräfin mit Gelassenheit hin, denn sie weiß, dass sie nur eine kleine Weile warten und nichts selbst unterneh­men muss, bis den Leuten ein so großer Unsinn einfällt, dass durch die dar­auf fol­gende Wirrnis kein Werk mehr zu Ende geführt werden kann und die alte Ruhe wiederher­gestellt ist. So könnte mancher daran denken, den Weg der Schiffe um das Himmelreich abzukürzen, etwa durch einen breiten Graben oder gar wie durch den einstigen Tunnel des Bähnleins nach Wertheim. Der würde dann aber, wenn die Österreicher Schubverbände ihre gewohnten Havarien fortsetzten, bald einstürzen, wodurch ebenfalls oberhalb ein breiter Gra­ben entstünde, über den man nur mit großem Aufwand ge­langen und keinen Weg führen könnte. Damit wäre endgültig Frie­den auf der Wet­tenburg herge­stellt, alle Reisen­den müssten in einem wei­ten Bo­gen um das Himmelreich fahren und auch auf dem Main könn­ten die Schiffe nicht weiter gelangen, so dass das Himmelreich in sei­ner Ruhe und Beschau­lichkeit diesen Namen auch vollauf verdiente.

Foto: Yronimus               

Start