Die weiße Wasserfrau von Heimbuchen­thal


WasserfrauIn Heimbuchenthal hatte einmal eine Bürgersfrau  den ganzen Tag Wä­sche gewaschen, gebleicht und zum Trocknen aufgehängt, und am Abend wollte sie noch sich ein wenig auf ein Bänkchen setzen und die Sterne anschauen, da sah sie ein seltsames Leuchten im Hofe. Als  sie  daraufhin vor die Tür trat, um nach dem rech­ten zu sehen, be­merkte sie zu ihrem großen Schrecken beim Brunnen vor dem Hause eine weiße, durchsichtige Gestalt, die, als sie die Frau erblickte, in lau­tes Wehkla­gen ausbrach und nicht mehr verstummen wollte. So­gleich suchte die Bürgersfrau ihre Gemächer auf, rief alle Heiligen zu Hilfe, doch weder Gebete noch Flüche noch so manche Zauberei konnten die weiße Frau zum Schweigen bringen und erst am Morgen ward die Was­serfrau nicht mehr gesehen.  Sogleich suchte die Frau den Pfarrer und viele andere kluge Leute im Dorf auf, doch keiner konnte ihr hel­fen, jedes Mal, wenn die Nacht hereinbrach, saß wieder die weiße Wasserfrau am Brunnen und klagte und schluchzte zum Steinerwei­chen. Ein alter Händler, der die Welt bereist hatte, riet den Leuten schließlich, die weiße Frau nach ihrem Be­gehren zu fragen und wer sie sei, denn an vielen Orten der Welt gäbe es unglückliche Wesen, die nicht die letz­te Ruhe finden könnten, weil ein Unrecht geschehen sei, das gesühnt werden müsste und oft gäbe es nur ei­nen, der sie erlösen könnte. So fasste sich denn die Frau ein Herz, und als sie in der nächsten Nacht wieder das weiße Schattenwesen klagen hörte,   trat sie an den Brunnen und fragte die Wasserfrau, wer sie sei und was man ihr tun könnte.
 
„Ich bin“, so antwortete die weiße Frau und es schien, als ob sie seit langem nur auf diesen Augenblick gewar­tet hätte, „Dein Gewissen. Viele Tage schon wäscht Du Deine Kleider immer nur mit grobem, billi­gem Pulver. Kein Duft, kein Glanz haftet ihnen an und allen, die sie tra­gen, sind sie kratzig und hart, und dein Mann und dein liebes Töchter­lein scheuern sich wund beim Laufen wie beim Werken, weil Du das wichtigste vergessen hast.“ Da dämmerte es der Frau, dass sie schon seit Ta­gen nicht mehr bedacht hatte, dem Waschwasser ihre duftendes Flauschwässerchen zuzugeben und sie nahm sich fest vor, der Wä­sche am nächsten Tag wie­der ihre gewohnte Pflege zukommen zu las­sen.

Als nun die Bürgersfrau am nächsten Abend zum Brun­nen trat, da sah sie auf dem Wasser nur noch einen fei­nen, weißen Schaum schwim­men, und fast schien es, als formte er sich zu einem Zeichen des Dan­kes, bevor er sich auflöste.

Von da an konnte das Weib und seine ganze Familie wieder des Nachts sich ungestört zur Ruhe begeben und weder ein Spuk noch ein Laut noch ein unerledigtes Geschäft störten den Schlaf der Bürgers­frau, ihres Ehe­gatten und ihrer Kinder.

Und mehr noch versüßte seitdem das Leben der Bür­gersfrau: Da ihr Gewissen im Schaum entschwunden war, kümmerte es sie nunmehr wenig, wenn sie einen Armen an der Tür abwies, ihrem Wasser Unrat bei­mischte, so dass die Fische tot im Bach schwammen oder wenn sie ihr Steuerscherflein auch dann nicht ent­richtete, wenn der Amtmann harte Worte über sie sprach und der Pfarrer ihre Hartherzigkeit rügte. Wer mit ihr ein Geschäft machte, musste sehen, wie er an sein Geld kam und die Nachbarn wussten Ihr Leid zu klagen wenn sie sie um eine Gefälligkeit hatten bitten wollen. So kam die Bürgersfrau zu be­trächtlichen Wohl­stand und genoss ihr gnädiges Schicksal allein. Und so lebt sie noch heute in Glück, Wohlhabenheit und hohem Ansehen und viele folgten ihrem Beispiele.

Foto: Dr. Adolf Feulner               

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