Gegenüber von Neuendorf am Main
befindet sich, malerisch auf einer Anhöhe im Wald versteckt, die
Ruine des ehemaligen Klosters
Schönrain, zu der an sonnigen Tagen große Scharen von Wanderern
und Spaziergängern streben und dort oft lange verweilen, obwohl
es dort keine Möglichkeit zur Einkehr gibt. Dies mag verwundern,
denn selbiges ist den meisten Wandersleuten eigentlich
das wichtigste, und sie interessieren sich meistens eher wenig für
alte Gemäuer. Viel wurde deshalb schon gerätselt, was denn
solche Besucherströme anlocken könnte, aber diese gaben sich oft
sehr schweigsam und oft schon fast ängstlich, als ob man ihnen
ein Geheimnis entlocken könnte. Auch anderes gab den Chronisten
der Umgebung schon zu denken: So dass ein Ort am Fuß des alten
Klosters, genannt Spurka, verschwinden konnte, ohne eine Spur zu
hinterlassen. Auch die Suche nach Schätzen oder sonstigen
Überbleibseln der einst weithin bekannten, mit großen
Reichtümern gesegneten Stätte, blieb stets erfolglos - ebenso
wie die Suche nach den Spuren der heiligen Lioba, die zu Zeiten
des Bonifatius hier gehaust haben soll. Sie endete stets so im
Nichts, als wäre die Heilige mitsamt ihren Glaubensschwestern
und Gütern, ja sogar einer ganzen Kirche, vom Erdboden
verschluckt worden.
Dasselbe könnte aber, so hört man
hinter vorgehaltener Hand, auch etwas anderes als der Erdboden
gewesen sein. Der Main ist nämlich an dieser Stelle sehr tief
und gewährt wenig Einblick, so dass sich hier leicht ein
unerkanntes Wesen verbergen könnte. Dieses könnte sich zudem
noch in einen unterirdischen Gang zurückziehen, der vom Kloster
hinab an den Main geführt haben soll und dessen Eingang jetzt,
wo man den Main an großen Wehren aufgestaut hat, unter dem
Wasser liegt. In der düsteren Zeit am Ende des Jahres,
wenn die Nebelschwaden über den Main ziehen, erinnert die
liebliche Landschaft ohnehin an einen geheimnisvollen und
gleichfalls tiefen See im Schottenland, wo sich auch ein
Ungeheuer verbergen soll, das immer wieder Boote und Touristen
verschlingt, vor allem dann, wenn sie eine unerwartete Begegnung
mit ihm auf Lichtbildern zu dokumentieren suchen, so dass man
dieses bis heute noch nicht aufgespürt hat.
Anlass zur Hoffnung gab nun ein Loch,
dass die Bahn vor einiger Zeit in den Berg graben ließ, um ihre
Gefährte schneller in die Stadt Würzburg und weiter in den Süden
des Landes befördern zu können. Diese stießen aber nicht auf
einen verborgenen Gang, sondern nur auf einen Brunnenschacht,
der ihnen bloß nasse Füße bescherte und die Arbeiten um einige
Wochen aufhielt. Es scheint auch so, dass viele der
verschwundenen Güter nicht im Rachen eines Ungeheuers gelandet
sind, sondern in den Bauwerken der Umgebung, in Hofmauern,
Kellern und auch in Kirchen, wie der Taufstein des Hofstettener
Gotteshauses zeigt. Sogar den ganzen Dachstuhl des prächtigen
Gebäudes am Schönrain konnte man lange Zeit am Forsthaus in
Massenbuch bewundern, ohne dass seine Bewohner darob ein
schlechtes Gewissen gehabt hätten. Der altehrwürdige Bau der
Klosters verfiel indessen und die Bürger der umliegenden
Gemeinden bedienten sich an den fein behauenen Steinen, um ihr
Anwesen zu verschönern. Was dort verblieb, wurde nicht selten
auf den Kopf gestellt und so als eine besondere Rarität
vermerkt. Und viele Erzählungen aus dem Frankenland wurden
sodann erdichtet, um solches Tun schön zu reden
Was das Ungeheuer betrifft, ist aber
am wahrscheinlichsten, dass in den Erzählungen der Angelfreunde,
von denen es eine Menge in den umliegenden Dörfern gibt, ihre
Fänge von Mal zu Mal größer wurden und so aus manchem Hecht ein
Ungetüm entstand, das manchmal ganze Schiffe mit Mann und Maus
verschlang. Dieses kennt man auch aus dem Schottenland und
pflegt dort solche Gruselgeschichten besonders gern, weil sie,
wie hier auch, doch immer recht viele Besucher anlocken, die
gerne ein Lichtbild von dem schrecklichen Untier mit nach Hause
nehmen würden, denn ansonsten gibt es in den Dörfen der Umgebung
nicht so viel zu sehen und zu erleben, dass jemand dort aus
freien Stücken längere Zeit verweilen würde.