Der verschollene Rittersmann


RittersmannJeder in dem lieblichen Stück Frankenland, das vom Mainviereck um­flossen wird, kennt die Geschichte vom Kaiser Karl, der sich beim Ja­gen in der Nähe des Klos­ters Einsiedel im Walde verirrte und von dem Glöcklein der frommen Mönche wieder auf den rechten Weg ge­bracht wurde. So soll er den Mönchen aus Dankbarkeit gar das Kloster Neu­stadt geschenkt und seine Tochter Gertrude dort ein- und ausgegan­gen sein.

Eine Legende derselben Art ist wohl wahr, nur handelte es sich bei dem Verirrten nicht um den Kaiser Karl, son­dern um den Raubritter Hugo von Rieneck, auch war er nicht beim Jagen, sondern stellte Rei­senden nach und er wurde auch nicht von einem Glöcklein bei Einsie­del errettet, sondern geriet im tiefen Wald hinter Rothen­buch in immer tiefere Wildnis, wo ihn keiner mehr fand.

G roß war darob die Trauer im Hause der Grafen von Ri­eneck, denn er war des letzten Grafen einziger Sohn gewesen und das Geschlecht war mit ihm untergegan­gen; sein Be­sitz fiel an die Mainzer Erzbischö­fe, die ein­stigen Erz­feinde der Rienecker. Den Ritter Hugo tilg­te man indes­sen aus allen Annalen, denn er hatte über Land und Volk nur Un­heil ge­bracht und hätte den Na­men der einst mächtigen und edlen Rie­necker befleckt.

Der schreckliche Ritter kam indessen in der Wildnis nicht zu Tode, son­dern geriet in eine tiefe Höhle, wo er bald in seltsame Gemächer kam, die über und über mit Edelsteinen und glänzendem Metall bespickt wa­ren. Seltsame, schwere Düfte durchzogen die Räum, dem Ritter war­den die Glieder schwer und er sank in einen tiefen Schlaf, in dem er mehrere Jahrhunderte verharr­te.

Eine andere Legende erzählt, Kaiser Karl habe bei sei­nem Ausritt nach langem Umherirren das Lärmen von Waldarbeitern gehört und sei in der Nähe von Aschaf­fenburg wieder auf eine Siedlung derselben ge­stoßen, die er dafür reichlich belohnt habe. In der Tat weckte dort das Lärmen von Holzfällern und großen Räumfahr­zeugen für einen Stra­ßenbau einen Mann von edlem Geblüt, aber eben nicht den Franken­kaiser, sondern den wilden Ritter Hugo. Verwundert rieb sich der Edel­mann die Augen, trat durch einen Spalt, der sich in sei­ner Höhle aufge­tan hatte, ins Freie und sah sich in sei­nem Wald wieder, der noch groß, aber bei weitem nicht so dicht und unwegsam wie ehedem war.

Großer Hunger beschlich Hugo, der so lange gedarbt hatte und sein Auge suchte nach einem Wege, der zu einer Herberge führte. Da er­blickte er am Boden eine gläserne Flasche, und als er sie genommen, sah er pa­pierene Behältnisse und viele Hüllen aus glat­tem, bun­tem Harz , deren immer mehr auf dem Bo­den lagen, je weiter ihn seine Schritte führten, als ob sie ihm einen Weg weisen wollten. Schließlich kam er vor den Toren der Stadt Aschaffenburg an eine Schänke, die von grel­lem Lichte erhellt war und vor der eine große Zahl pfer­deloser Kut­schen bald stand, dann eilig wie der Wind wegfuhr, wo­bei die Füh­rer solcherlei Hüllen und Fla­schen, wie er sie reichlich auf dem Weg gefunden, aus dem Fenster war­fen. Und vor dem Gasthaus trieb ein bunt gekleideter Spaßmacher mit rot-weiß bemalten Gesicht sein Unwes­en, der einer Schar von Kindern um sich herum so kunstvoll die Spei­sen und Süßigkeiten des Hauses anpries, dass ihre Eltern nicht umhinka­men, diese ihnen zu erwerben, obwohl es für die klei­nen des Guten oft zuviel und viele von ihnen sich schon ku­gelrund gefres­sen hatten.

An der Schänke sah der Rittersmann nun große Schil­der mit fetten Ochsen und knusprigem Brot und ver­meinte, dass ein solcher für ihn nun gerade recht wäre. Er reihte sich in die geduldig wartenden Gäste ein, be­gehrte von der Küche Ochsen und Brot, erhielt aber zu seiner großen Verärgerung nur ein Scheibchen gebrate­nen Fleischteigs in ei­ner schlaffen Brothülle, wie man sie einst für die Zahnlosen gebacken. Und als er sich anschickte, mit zwei Goldstücken, mit der wohl ein gan­zer Ochs hätte erworben werden können, zu zahlen, da wies der Kas­sier die auch noch ab, weil sie nicht aus Papier wären.
Da fuhr dem Ritter die Zornesröte ins Gesicht, und mit einem Wut­schrei verlangte er nach dem Wirt des Hau­ses. Der kam herbei, mus­terte ihn dann aber mit ratlo­sem Blick und winkte aus einer Ecke zwei seiner Gehil­fen hinzu. Diese aber, so bemerkte der furchtbare Ritter Hugo, versuchten seiner habhaft zu werden, und er hör­te mit Erschre­cken, dass man ihn in die Stadt Lohr ver­bringen wollte, dorthin, wo er einst die armen Teufel, die den Verstand verloren, hinter dicken Mau­ern hatte schmachten lassen. Mit der ganzen Kraft eines Raubrit­ters befreite er sich, floh in den Wald zurück und ward nicht mehr gesehen. Erschrockene Wandersmänner er­zählten später von einem finsteren Fremdling im Walde bei Haibach, der den rosslosen Kutschen auflaue­re, die aus der Schänke mit den falschen Ochsen kämen und die darin sit­zenden in einen Bau tief im Wald brächte, um an ihren Kindern sei­nen Hunger zu stillen. Man hört indessen häufiger, dieselben hätten bloß, von vielen schmalztriefenden Mählern rund und unbeweglich ge­worden, nach dem Verrichten ihrer Notdurft  nicht mehr den Weg aus dem Walde zu bewältigen vermocht und so manche hätten auch nicht aus den Unratbergen da­selbst herausgefunden.

Ansicht von Burg Partenstein nach Daniel Meisner, Sciographia cosmica (1623)    

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