Das Pfäfflein und der gülden Reif


PfaeffleinIn einem Dörflein zwischen Lohr und Karlstadt lebte einst ein Mägdlein, das hatte einen goldnen Reif, den liebte sie über alles.Tagaus, tagein warf sie ihn in die Lüfte, so hoch, dass er bald im Himmel entschwand, und doch kehrte er immer wieder zu ihr zurück und sie fing ihn mit si­cherem Gespür wieder auf. Und als sie schon eine stattliche Jungfrau war, so mochte sie sich doch nicht von ihm trennen, auch wenn ihr Bräutigam sich darüber sehr wunderte und sie des öfteren fragte, ob sie denn noch ein Kindlein sei. Immer wieder zog sie die Wege entlang und warf ihren Reif empor und träller­te ein fröhliches Liedlein dabei.
An einem Tage aber, als sie an der Mauer des Pfarrhau­ses entlang­sprang, da geriet ihr ein Wurf zu hoch und der Reif senkte sich hinter der hohen Mauer nieder. Darüber war das Mägdlein sehr betrübt und bittere Trä­nen vergoss sie, ob denn niemand ihr helfen könnte, wieder zu ihrem geliebten Reiflein zu gelangen.

Da aber öffnete sich das Tor in der Mauer, heraus trat ein kleines, run­des Pfäfflein, das sprach, „Warum weinst Du so, holde Jungfer?“ Und die Maid sprach, „ach ich achtete beim Spiel mit meinem Reiflein nicht auf die Mauer und so liegt es jetzt dahinter und mein geliebtes Spiel geht mir nun ab.“ Da schalt sie das Pfäfflein erst, weil sie so leicht be­kleidet war, aber dann wollt er sich doch erbieten, ihr das Reiflein wie­der zu holen. Als sie es aber sich wieder nehmen wollte,  da fragte er, ob er von nun an sie begleiten dürfe, und sie dachte sich nichts dabei und willigte schnell ein, denn, so sagte sie sich, was wird mir das Pfäff­lein schon großes wollen. Und sie warf ihr Reiflein wieder fröhlich in die Lüfte und sprang frohen Mutes nach Hause.

Am nächsten Abend indessen, als die Familie ihr Abendbrot einneh­men wollte, klopfte es mächtig an das Tor ihres Hauses; der Vater öff­nete und das Pfäfflein stand davor und meldete sein Begehren an, bei der Jungfrau verweilen zu dürfen. Groß war der Schrecken des Mägd­leins, denn es hatte wohl nur im Scherz ihre Begleitung zugesagt und bat nun den Vater, ob nicht er dem hochwürdigen Herren seine Gesell­schaft anbieten wollte. Der Vater aber schalt sie und sprach, wem man das Wort gegebenhätte, dem müsste man es auch ein­halten. Und dem Pfäfflein wurde an der Tafel ein Platz neben der Jungfrau angewiesen. Nun sprach er zu die­ser, „Ich will von deinem Tellerlein essen“, und die Mut­ter gab dem geistlichen Herrn das saftigste Stück von dem Braten nebst einem großen Korb duftigen, frischen Brotes. Das Pfäfflein indes hatte schon bald alles aufge­fressen und verlangte noch etliche Male nach einem weiteren Stück des Bratens und gab nicht eher Ruhe, als bis von dem reichlichen Mahl alles verspeist und auch noch etliche der Schinken und Käselaibe im Vor­ratsraume aufgetischt und von ihm ver­schlungen waren. Sodann verließ er die Behausung, und man hörte an­derntags voll Verwunderung die Messdiener sprechen, sie hätten ihm bei der letzten Messe statt des Weins bei der Messe einen Krug schäu­menden Bieres reichen müssen und  beim heiligen Mahl hätte er statt des unge­säuerten Brotes Brezeln gebrochen.

Am nächsten Tage beehrte er die Behausung der Maid wieder, ließ sich erneut festlich bewirten und sprach dann zu ihr,“Ich will aus Dei­nem Becherlein trinken“. Dann ließ er sich den besten Wein eingießen  und ließ nicht eher ab, als bis von den edelsten Tropfen auch die letzte Fla­sche geleert hatte. Dann sank er unter den Tisch und gab durch ein lautes Rülpsen sein Wohlgefal­len kund. Vater und Tochter schickten sich nun an, den geistlichen Herrn wieder in seine geweihte Behau­sung zu verbringen, wo die Leute kopfschüttelnd von einer Leichenfei­er sprachen, die der geistliche Herr gehalten hatte, wo er stets nur ein Nachtgebet gesprochen und dann die Kinder um das Grab hätte tan­zen lassen.
 
Auch am nächsten Tag war der hochwürdige Herr Gast der Jungfrau und sprach dann zu ihr: „Ich will in Deinem Bettlein schlafen“. Voller Bekümmernis flehte diese nun den Vater an, ob er sie nicht von dieser Last befreien könnte, doch der sagte nur, „versprochen ist verspro­chen“ und geleitete das geistlichen Herrn mit der Maid zu ihrem Lager. Dort machte sich dieser erst so recht breit und ergötzte sich wohl die ganze Nacht an ihrem Fleisch, so dass sie am nächsten Morgen  jedes Knöch­lein und jedes Haar spürte. Nun aber glaubte sie sich des Pfäff­leins bald entledigt, denn der musste ja  die Messe halten. Um sich von den Beschwernissen der Nacht zu reinigen, ließ sie sich heißes Was­ser in einen Zuber ein, um ein erfrischendes Bad zu nehmen, doch als sie darinnen saß, rief der hochwürdige Herr, „Ich will in deinem Wänn­lein baden“, und er begab sich zu der Maid in das dampfende Wasser, wo sie ihn bis in die letzte Falte und hinter das letzten Härlein zu reini­gen und zu pflegen hatte. Als dieses geschehen, sprach der hochwür­dige Gast , „Ich will auf Deinem Töpflein sit­zen“, holte das Nachtge­schirr unter ihrem Bette hervor und machte Anstalten, sich von dem schwe­ren Mahle des vorangegangenen Abends Erleichterung zu ver­schaffen.

Nun aber geriet das Mägdlein in unbändigen Zorn, stieß dem Männlein das Geschirr unter seiner Sitzfläche fort, nahm ihn am Kragen und warf ihn mit aller Kraft an die hölzerne Wand ihrer kleinen Stube. Da glitt das weiße Haar von seinem Haupt, die lange Soutane öffnete sich  und ein stattlicher Herr mit Beinkleidern aus feinstem Linnen und sei­denem Rock stand vor ihr und rief aus, „Nun endlich bin ich erlöst, oh Jung­frau! Jahrelang musste ich in diesem engen, schwarzen Frack aushar­ren, Messen lesen und alten Hutzeln Trost spenden. Jetzt aber bin ich von dem Fluch befreit und stehe vor Euch als Euer wahrer Lieb­haber und Gemahl!“ Und er breitete seine Arme aus, um das Mägdlein, das ihm zu diesem Glück verholfen hatte, in dieselben zu nehmen.

Da aber öffnete sich die Tür und der Bräutigam der Maid stand unver­sehens im Zimmer. Und als er die gar peinliche Lage seiner Verspro­chenen erkannte, nahm er sogleich seinen Degen von der Wand, zwang das unse­lige Pfäfflein auf die Knie, hielt ihm die Klinge vor sei­nen Hals und hätte ihm wohl kurzum das Lebenslicht ausge­blasen. Doch dieses hob an zu sprechen, der Brautleute Vorhaben wäre für sie mit überaus nachteiligen Folgen behaftet. Wenn sie hier im Orte ihre Hochzeit feiern wollten, müssten sie wohl oder übel noch seine Dienste in Anspruch nehmen, denn mit einem massakrierten Pfäfflein fände sich nicht einmal ein Schreiber, der ihre Verehelichung beurkunden könnte. Und so gelang es dem Männlein, sich von dannen zu schlei­chen.

Zum Zweck der Verehelichung, aber auch, um vom selt­samen Treiben des hochwürdigen Herrn zu berich­ten, begab sich am nächsten Tage das junge Paar zum Kir­chenamt; dort aber zeigten sich die Schreiber über die Maßen verwundert, denn die Pfarrei des Dorfes wäre seit vie­len Wochen verwaist und ein Nachfolger oder Stellvertreter nicht dort­hin beordert worden. Und sie fragten die Braut und die Leute im Dorf, wie der Herr Pfarrer denn ausgesehen, was er gebetet und ob einer gesehen hätte, wo er hergekommen sei.

Derselbe aber saß in einem Eisenbahnwagen, der un­terwegs in die Bi­schofsstadt Würzburg war, und erfreute sich, vertieft in sein Brevier, am lustigen Treiben der Kinder auf den Sitzen und Bänken. Und da die Alten ihn fragten, wohin er unterwegs war, gab er freudig zur Aus­kunft, er wäre berufen in ein Wallfahrtskirchlein nahe bei der Bischofs­stadt, um sich der Seelen der Pilger anzu­nehmen. Die Kinder indessen wun­derten sich gar sehr über die vielen bunten Bildchen in seinem Brevier, zu denen er die Erläuterung gab, auf ihnen wäre die Sünde dargestellt. Dessentwegen nahmen die Alten ihre Kinder zu sich, damit sie dem hochwürdigen Herrn nicht bei seinem Streit gegen das Laster be­schwerlich wären. Und das Pfäfflein gab allen seinen Segen und den gu­ten Rat, sich vor dem Bösen zu bewahren, das immer und überall sei.

Foto: Dr. Adolf Feulner          

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