Die hungrigen Legionen vor den Bratselden
In grauer Vorzeit, als noch die wilden Germanen die Wälder
beherrschten und die Römer gar manche schwere Kämpfe mit ihnen
auszufechten hatten, begab sich einst ein großes Heer von Söldnern
vom heutigen Mainz aus in das Gebiet der streitbaren Markomannen, wo
sich auf dem Weg dorthin ein großes römisches Lager befand. Sehr
beschwerlich war der der Weg über die Spessarthöhen, da wo man heute
die Birkenhainer Straße findet, und zwischendurch galt es, den Main zu
überqueren, der wie auch heute noch, vor allem im Winter, kalt und
nass ist und so manchen Reisenden davon abhält, ihn ohne große Not zu
durchwaten.
So kam es auch in den Jahren um die
Zeitenwende, und als einmal zwei Legionen unter der Führung des
Legaten Gaius Saturninus an das Ufer des Mains kamen, da zeigte es
sich, dass seine Wasser so wild und eisig waren, dass sich selbst die
Esel weigerten, den Fluss zu durchqueren und die Legionen an dem
Berghang, der der Furt vorgelagert war, ihr Lager aufschlagen
mussten.
Harte Zeiten sahen nun die Soldaten
auf sich zukommen, doch befand sich an der Mainfurt eine Herberge mit
einer stattlichen Küche, in früherer Zeit Bratselde genannt, in der
sich die Reisenden auf ihrer Fahrt durch den Waldsassengau oder die
Saale entlang vorher an den warmen Feuern und brutzelnden Spießen
gütlich halten konnten und auch ein Nachtlager fanden. Für ganze
Legionen von Gästen war der Wirt der Bratselde jedoch nicht
eingerichtet, und darum fiel gar manches harte Wort, weil die
ungeduldigen Römer nicht erwarten konnten, endlich ihre langersehnte
Verköstigung zu bekommen und mit nichts zufrieden zu stellen waren.
So räumte der Wirt an einem Tisch, wo einem Römer das Mahl nicht
gemundet hatte, kurzerhand alle Krüge und Teller ab und ließ die Gäste
mit ihrem Hunger und Durst allein, ohne ihnen noch für den Rest des
Tages Beachtung zu schenken. An besonders betriebsamen
Tagen wies er auch nicht selten Gästen ohne Ansehen des Rangs, der Bewaffnung
und ihres Hungers die Tür.
Dieses machte die Legionäre ratlos, denn es war wohl gut möglich, in
den wildreichen Wäldern schmackhafte Wildsauen zu jagen, doch fiel es
den Schwarzkitteln in der Regel leichter, einen Jäger zu erlegen als
einem solchen, eines der Tiere habhaft zu werden und es zu Braten zu
verarbeiten. Wohl bestand noch die Hoffnung auf Versorgung über die
Kähne, die mainaufwärts gezogen wurden, doch an den Klippen an der
Mainbiegung vor der Bratselde erlitt so mancher Schiffbruch, und die
Bewohner der umliegenden Dörfer versorgten sich dann dort nicht nur
mit toskanischen Genüssen und Wein, sondern auch mit Waffen und Gerät,
das den Legionären dann fehlte und große Sorgen bereitete. Zudem
sorgte beständiger Regen dafür, dass das Lager der Römer bald im
Schlamm versank und die Legionäre sich nichts sehnlicher wünschten,
als bald wieder den Heimweg antreten zu können. Dieser Zeitpunkt kam
früher, als die Heerführer ahnen konnten, denn im Norden Germaniens
waren mehrere Legionen des Varus in einer Schlacht so unter die
Räder gekommen, dass der Feldzug des Saturninus unverzüglich
aufgegeben, die Lager in größter Eile abgebrochen werden und die
Legionen unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten.
Zurück blieb nur ein Feldscher
namens Lucius Aemilius, der sich unter den geselligen Germanen so
wohlfühlte, dass seine Familie dort noch bis auf den heutigen Tag das
Fleischerhandwerk betreibt. Nach ihm soll ein angesehener
griechischer Lehrmeister der Geographie später den Ort als Lucuritum,
bezeichnet haben, andere sagen, nach dem "Lokus" im Röhricht, wie die
Römer den Abtritt der Bratselde am Mainufer
nannten. Auch sonst wird viel Unsinn über den geheimnisvollen Ort
erzählt, von dem niemand etwas genaues weiß und den es vielleicht gar
nicht gegeben hat. Von dem Lager der Römer blieb nur ein
Ballspielplatz, den aber die Bewohner eines Nachbarorts nach einem
verlorenen Spiel so gründlich verwüsteten, dass man ihn heute nicht
mehr findet. So ist von der Stätte des Wirkens der römischen Legionäre
nur noch der Name des Mons Aemilianus geblieben, an dem der vorherige
Feldscher Aemilius seine Wohnstatt gefunden hatte, den aber die
Bewohner, weil sie des lateinischen nicht mehr mächtig sind, nur noch
als "Ämel" bezeichnen und dem ein preußischer Geograph dann den
seltsamen Namen "Einmalberg" zuschrieb. Der Ort am Main selbst ist
noch immer nach der Bratselde benannt, die einst die Römer
verköstigten sollte, und noch immer sitzen die Bewohner dort gern bei
Bier und Braten, achten aber darauf, dass sie den Wirt nicht
verärgern, um nicht für den Rest des Tages auf dem Trockenen zu
sitzen.
Foto:
Yronimus